Leserbrief von Rosemarie Pfeiffer aus Gelnhausen

Nach fünfzehn Tagen sind alle Wünsche erfüllt

Es fing alles mit ein paar Unzufriedenen an.
Sie wussten nicht, was sie wählen sollten. Da sammelte ein Schlaukopf ihre Unzufriedenheitsbekundungen, gründete eine Partei und versprach in seinem Programm, alle Dinge besser zu machen, die den Unzufriedenen nicht gefielen.
Dass das Programm voller Widersprüche steckte, fiel niemandem auf.

Bei der nächsten Wahl bekam die Partei ein paar Stimmen. Die großen Parteien ignorierten sie. Doch das Heer der Unzufriedenen wuchs und wuchs. Bei der nächsten Wahl hatte die Partei zwar noch keine bedeutende Mehrheit, zog aber schon mit ein paar Abgeordneten ins Parlament ein. Wenn ihre Leute Reden hielten, wurde über sie gelacht.

Die Presse überschüttete sie mit Häme. Die Partei nannte sie deshalb „Lügenpresse“. Bei der nächsten Wahl erreichte die Partei der Unzufriedenen noch mehr Zuspruch. Das war den großen Parteien ein Dorn im Auge. Sie wollten nicht mit ihr zusammenarbeiten. Doch die Partei versprach den Bürgern weiterhin die Erlösung von allen ihren Unzufriedenheiten. Bei der nächsten Wahl hatte sie die absolute Mehrheit.

Am 1. Tag danach besetzte sie die Regierungsposten und zog ins Parlament ein.
Am 2. Tag schaffte sie das Parlament ab und verbot alle anderen Parteien.
Am 3. Tag führte sie die Wehrpflicht ein und verdoppelte die Polizei. Alle Polizisten wurden mit Maschinengewehren ausgerüstet.
Am 4. Tag wurde die Berufstätigkeit der Frauen untersagt.
Am 5. Tag wurden Homosexuelle, Lesben und Abtreibung verboten.
Am 6. Tag wurden körperlich und geistig Behinderte weggesperrt.
Am 7. Tag wurden die Grenzen dichtgemacht und die alte Währung wieder eingeführt.
Am 8. Tag wurde das alte Schulsystem wieder eingeführt. Lehrer bekamen das Züchtigungsrecht.
Am 9. Tag wurden die diplomatischen Beziehungen zu allen muslimischen Staaten abgebrochen.
Am 10. Tag wurden alle Atomkraftwerke wieder in Betrieb genommen und die Windräder geschleift.
Am 11. Tag trat man aus dem europäischen Bündnis aus.
Am 12. Tag wurden alle Richter zwangspensioniert und durch parteieigene Richter ersetzt.
Am 13. Tag wurden Fernseh- und Rundfunkanstalten in Parteisender umfunktioniert und die freie Presse verboten. Das Internet wurde zensiert.
Am 14. Tag wurde die Versammlungsfreiheit eingeschränkt und Gewerkschaften verboten.
Am 15. Tag glaubte man nun, im eigenen Land alle Wünsche der Wähler erfüllt zu haben und erklärte dem Nachbarland den Krieg.

Rosemarie Pfeiffer
Mitglied Bürgergemeinschaft Gelnhausen